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28/4–2/6/2023

BODY – send and receive

STATEMENTS
Ulrike Lienbacher
Claudia-Maria Luenig
Mara Mattuschka
Heliane Wiesauer-Reiterer

EINZELPOSITIONEN
Gottfried Ecker
Otto Eder
VALIE EXPORT
Gerda Fassel
I. F. Frauenberger
Barbara Graf
Heidi Harsieber
Matthias Herrmann
Martha Jungwirth
Jakob Lena Knebl
Jürgen Klauke
Leslie De Melo
Benjamin Nachtigall
Shirin Neshat
Georg Petermichl
Margot Pilz
Arnulf Rainer
Mimmo Rotella
Thomas Ruff
Erich Ruprecht
Antonio Saura
Sophia Süssmilch
Rainer Wölzl
Arno Zambanini

Kuratiert von Heliane Wiesauer-Reiterer
und Berthold Ecker

 

send and receive

Bei der Suche nach dem was uns ausmacht, als Individuum und als Angehörige der Gattung Mensch, spielt der Körper eine zentrale Rolle. Erst durch ihn werden wir im wahrsten Sinn substantiell und können über die Sinne an der Welt teilhaben. Dabei stellt sich die Frage: Sind wir in unserem Körper beheimatet, sind Hülle und Fülle in eins zu denken oder ist das, was uns ausmacht ausschließlich im Körper begründet? Sind der Geist und die Seele letztlich nur Hervorbringungen des Körpers, oder sind höhere Mächte im Spiel?

Was vermitteln wir mit unserer Körpersprache? Der Körper als ein empfangender und aussendender Organismus, auf dem letztlich unser ganzes Sein in der Welt beruht, hat als Thema künstlerischer
Umsetzungen unzählbare Möglichkeiten der Repräsentation. Auch in der österreichischen Kunstgeschichte ist das Interesse am Körper
unübersehbar. Man denke nur an Egon Schiele, Maria Lassnig oder den Wiener Aktionismus. All diese Leistungen haben ein Feld bestellt, auf dem bis in die Gegenwart hochinteressante Oeuvres entstanden. Künstlerinnen haben einen bedeutenden Anteil am Wandel der Sicht auf den Körper, der Feminismus besonders ab den 1970er Jahren brachte hier entscheidende Fortschritte.

Die Ausstellung bietet eine Zusammenstellung von 28 Künst­lerinnen und Künstlern aus mehreren Generationen, wobei vier künstlerische Statements näher beleuchtet werden. Sie stehen etlichen Einzelpositionen gegenüber, welche das große Spektrum der möglichen Annäherungen an das Thema andeuten.

In vier gesonderten Räumen werden zentrale Aspekte der Körperlichkeit vorgestellt. Diese Statements bearbeiten Teilaspekte der Körperlichkeit wie das existentielle Ausgeliefertsein, die Diszipli­nierung des Körpers, die Grenzen des Körpers und performativ narrative Anliegen, die meist mit dem eigenen Leib als Medium vorgetragen werden. Sie bilden das Grundgerüst der Ausstellung und spielen auch in den Hauptraum hinein. Dort werden sie von zahlreichen Einzelpositionen verstärkt, überlagert und relativiert.

In einem ihrer Themenschwerpunkte untersucht Heliane Wiesauer- Reiterer seit den 1980er Jahren den Körper in seiner existentiellen Geworfenheit. Stürzend, allein und klein, verletzt und sterbend, schweben ihre nackten Figuren ausgeliefert im Raum, der wie der Körper selbst im gesamten Werk eine wesentliche Rolle einnimmt. Vom expressiven Duktus der Frühzeit bis hin zu den aktuellen kraftstrahlenden Arbeiten steht der Körper als Chiffre für eine tiefgehende bildnerische Forschung über die Gründe unserer Existenz. Die früheste Arbeit aus den 1970er Jahren zeigt eine aus groben bemalten Brettern und Latten zusammengenagelte liegende Figur. In der Verknappung der Mittel entsteht schon in diesen Anfängen eine kraftvolle Aussage, offen für assoziative Interpretationen. Auf diesem Weg kommt Wiesauer-Reiterer wenige Jahre später zu ihren Körperempfindungen. Schemenhafte, aus kraftvollen Pinselstrichen auftauchende Gestalten in sehr stimmungsbezogenem Kolorit befinden sich in einem undefinierten und folglich unbegrenzten Raum. Die emotionale Gestimmtheit ihrer Körperbilder läßt sich nicht festlegen, ist aber in jedem Fall ernst. Auch in zwei plastischen Köpfen, die erst jüngst entstanden, ist dieser kontemplativ assoziierende Ansatz unverkennbar. In der Zeit der Neuen Wilden war Wiesauer-Reiterer eine der auch international gesehen ganz wenigen Frauen, die sich malend im männlichen Umfeld behaupten konnten. Bis heute führt sie in einem Strang ihres Schaffens die Körperthematik fort und präsen­tiert mit ihrem jüngsten Zyklus einen weiteren Höhepunkt des malerischen Werks. Der Schwerpunkt hat sich verlagert, nun geht es mehr um Körpersprache, um Bewegung und Dynamik in einer sinnlicheren Form der Reduktion. In der Bravour des lockeren Vortrags in farbiger Tusche erinnert Wiesauer-Reiterer an die große Marlene Dumas.

Der Körper steht der Welt nicht gegenüber, sondern ist Teil von ihr. „Der Leib ist nicht im Raume, er wohnt ihm ein. … Nicht also dürfen wir sagen, unser Leib sei im Raume, wie übrigens ebensowenig, er sei in der Zeit. Er wohnt Raum und Zeit ein.“ (Maurice Merleau-Ponty) Der Leib ist eine gedachte zusätzliche Ebene, die zwischen dem Körper und dem Geist vermittelt. Es ist gleichsam der Ort des Menschen in der Welt. Der Leib und der Raum bedingen einander, wäre kein Leib, gäbe es keinen Raum. Diese Überlegungen des großen Phänomenologen fundamentieren die existentielle Geworfenheit bei Heliane Wiesauer-Reiterer genauso, wie die zeichnerische und plastische Forschungsarbeit von Claudia-Maria Luenig. Beide gehen das Problem des „In der Welt Seins“ aber von unterschiedlichen Seiten an. Luenig beschäftigt besonders die Abwesenheit des Körpers. In einem paradoxalen Verfahren verwandelt sie die ausformulierte Leere in der Mitte einer gezeichneten Fläche. Der abwesende Körper wird dadurch zum Anwesenden. Durch die sinnliche Wahrnehmung geleitet – geplant oder intuitiv – untersucht sie die Grenze zwischen dem Körper und der Welt. Während es in den großen Zeichnungen
um das feine Vexierspiel zwischen dem Sein und dem Nicht-Sein, um das Auftauchen und Verschwinden geht, beschäftigt sich ihre plastische Arbeit mit der Form des Körpers, wofür sie meist den Eigenen zum Ausgangspunkt nimmt. Während sie zunächst eine zweite Haut (corpus alter) aus Elektrokabeln häkelt – gleichermaßen Haut wie Anzug (Vermummt, 2008) – lässt sie den damit verbundenen, performativen Aspekt bald hinter sich und kommt zu skulpturaleren Lösungen. Immer untersuchen ihre Linien, seien sie nun gezeichnet oder gehäkelt, ein abwesendes Zentrum, das sie gleichsam umgarnen. Diese Hülle bildet den Umraum oder trennt ein Außen vom Innen, sie fungiert wie eine Haut, als ein schützendes, aber auch trennendes Organ. In beide Richtungen konfigurieren sich von hier aus die Welt und das Ich.

Mehrere Entwicklungsschritte später wandelt sich die Technik, das Kabel wird durch Gummiband ersetzt und Luenig kommt zu den Manouevres (2013) einer Gruppe freistehender Objekte mit körperhaften Formen, die man genauso wie die Körper der Leibhäuser (2015) als organoid bezeichnen könnte. Jedenfalls entfernen sich die jüngeren Skulpturen zusehends vom konkreten weiblichen Körper. Die leibliche Hülle wird hier um die Ebene des Gewandes und die architektonische Hülle erweitert. In Leibschema I+II erreicht das Körperliche eine neue Dimension, es löst sich von der individuellen Erscheinung, es verlässt das menschliche Vorbild und wird zu einem über alle Spezifizierung hinausreichenden Gebilde, gleichsam zu einem Urkörper.

Häufig dominiert bei Ulrike Lienbachers Körperarbeiten der Aspekt der Disziplinierung. Die Macht der Herrschaft, der gesellschaftlichen Konvention und des Kapitals äußert sich nach Michele Foucault in der Disziplinierung des Körpers. Sie wirkt auf den Körper, sie formt und deformiert ihn. Disziplin bedeutet Unter­ordnung unter ein meist gesellschaftlich auferlegtes Regelwerk, das bestimmte Ziele der äußerlichen und innerlichen Verfasstheit vorgibt. Optimierung, Gesundheit, Reinheit, Hygiene, Begehren
und Sexualität stehen im Zentrum ihrer Beschäftigung mit dem Körper. Seine Stellung im Raum, die Pose, Verweise auf die Kunstgeschichte und gesellschaftliche Projektionen schwingen hier nicht nur mit, sondern sind scharf konzipiert. Dass das soziale Gefüge durch hohen Druck auf das Individuum funktioniert, verdeutlicht die konzentrierte Kontur der Figuren. So wie die drei anderen Künstlerinnen der Statements ist auch Lienbacher nicht auf ein Medium festzulegen. Sie erarbeitet ihre inhaltlichen Schwerpunkte in der Skulptur, der Fotografie und der Zeichnung. In all ihrer Zartheit, der Reduktion auf die Linie beziehungsweise in der Konzentration auf ihr stringentes Konzept erreichen diese Arbeiten eine hohe Präsenz. Die Andeutung der Körper formuliert sich in der Rezeption aus.

Die filmischen, performativen und malerischen Werkgruppen von Mara Mattuschka sind eng miteinander verbunden. Ihre Ausbildung bei Maria Lassnig (Assistent Hubert Sielecki) in Malerei und Animationsfilm gab ihr das Instrumentarium zur Hand, mit dem sie sich in beiden Medien zum Thema des Körpers und mittels des Körpers artikuliert. Auch sie verwendet mit dem ihr eigenen Charme und Witz verschiedene „Alter Egos“, die Namen wie „Ramses die II, Mahatma Gobi oder Mimi Minus“ tragen. So agiert sie als Kunstfigur in zahlreichen Filmen, bei denen sie auch die Regie führt. Mattuschka setzt den Körper durchaus unkonven­tionell ein und lässt ihn (sich) tabufrei agieren. Ein Beispiel für ihren humorvoll gebrochenen Umgang mit dem Köper bildet der FiIm Parasympathica (1985), in dem sie mit einer Krone und jeweils zur Hälfte schwarz und weiß bemalt auftritt. Das Nervensystem wird maßgeblich durch Sympathicus und Parasympathicus gesteuert. Sie sind für die Ruhe und die Aktivitätsphasen zuständig, agieren als Gegenspieler und ergänzen einander.

Mattuschka entdeckte in einer katholischen Zeitschrift die Analogie zur Vita Aktiva und Kontemplativa, indem bestimmte Eigenschaften einer der beiden Lebensformen zugeordnet und bewertet wurden. Fast ausschließlich galt die passive Seite als gut und die der aktiven Sphäre zugeordneten Aspekte als schlecht. Selbst die Eigenschaft der Neugier fand sich unter den negativen Merkmalen. Diese Sicht interpretiert die Kunstfigur durch ihre Mimik.

Die filmischen Abläufe kommen bei Mattuschka aus dem Bild, wie auch in ihren Malereien besondere perspektivische Verzerrungen und ungewöhnliche Körperhaltungen aus dem Film einfließen.
Der Bildraum der Gemälde umschließt die Figur geradezu klaustro­phobisch. Beide Medien verbindet die Inszenierung des Körpers im Dienst einer meist ironisch und melancholisch grundierten Narration.

Die „Einzelpositionen“ der Ausstellung dienen uns dazu, die enorme Vielfalt an Möglichkeiten im künstlerischen Umgang mit dem Körper anzudeuten. Beispiele aus mehreren Generationen illustrieren das Spektrum. Wir haben uns bemüht, auch weniger bekannte, für uns aber wichtige Künstlerinnen und Künstler
neben Vertreter*innen des kunstgeschichtlichen Kanons zu stellen. Den Anfang machen zwei Bildhauer und eine Bildhauerin mit Geburtsjahrgängen vor oder im zweiten Weltkrieg (Eder, Fassel, Ruprecht). Schon diese kleine Gruppe zeigt, wie divers die Auseinandersetzung mit dem Körper-Thema sein kann. Von formalen Problemstellungen über die symbolisch-narrative Nutzung des Körpers bis hin zu einer offensiven Körperlichkeit als Ansage der weiblichen Selbstbehauptung reicht hier der Bogen. Ihnen steht mit dem Berliner Torso von Rainer Wölzl ein völlig anderer Zugang zum Körper gegenüber, der den Leib gleichsam als Urkörper und Substanz des Seins in der Welt auf seine Grunddimension zurückführt.

Eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern arbeitet ebenfalls an archetypischen, jedenfalls basalen Problemen der mensch­lichen Existenz als Einzelperson oder in der Spannung der Inter­aktion (Ecker, I. F. Frauenberger, Jungwirth, Klauke, Nachtigall, Neshat, Saura). Die Grenzen des Körpers, seine Abwesenheit und Auflösung nehmen De Melo, Saura und Zambanini zum Thema, während die Disziplin in ihrer Befolgung oder im Widerstand von Fassel, Graf und Pilz bearbeitet wird.

Der performative Aspekt mittels Selbstbefragung, Inszenierung und mit dem Bezug auf Vorbilder aus der Kunst ist schließlich bei VALIE EXPORT, Harsieber, Herrmann, Knebl, Petermichl, Rainer und Ruff wesentlich.

Selbstverständlich sind alle diese Werke auch anderen Frage­stellungen zu subsummieren. Beispielsweise würde die Frage nach den Geschlechterrollen und deren Visualisierung eine solche Gruppe bilden.

„Das Leben ist ein Mysterium, weil es letztlich aus Knoten besteht. Es ist das Ergebnis des Zusammenfügens von gleichermaßen geheimen und manifesten Dingen, eines Ensembles von Zufällen, die nur der Tod signiert und vollendet in einer Geste, die zugleich etwas von Rekapitulation und Auftauchen oder Entstehen hat.“ (Achille Mbembe). Indem wir verschiedene Haltungen zum Körper in dieser Ausstellung zusammenfügen, entsteht ein neues Mysterium und vielleicht verändert sich dadurch auch unser Denken über den Körper ein wenig.

Berthold Ecker und Heliane Wiesauer-Reiterer
Kurator*innen

 


Kleine Galerie

Sonja Capeller
Grenzen des Wachstums

Der Titel meiner Ausstellung ist der gleiche wie der des 1972 erschiene Buches von Dennis Meadows, Jorgen Randers und Dana Meadows.  Initiiert vom Club of Rome, mitfinanziert von „Volkswagenstiftung“.

Das Buch bzw. sein Inhalt, hat mich inspiriert. Eine Analyse zum Zustand der Welt. Die nüchterne Darstellung der Weltprobleme: Industrieproduktion, Nahrungsmittel, Weltbevölkerung, Ressourcen und Umweltverschmutzung. Von Systemen, und ihren Wirkungen, Wechselwirkungen und ihren voraussichtlich zu erwartenden Auswirkungen in naher Zukunft . Die damals formulierten Risiken, treten 50 Jahre danach erdrückender denn je zu Tage.

Es ist mir nicht leicht gefallen das geerbte Buch, das ich vor Jahrzehnten in der Bibliothek meines Großvaters entdeckt und gelesen habe, für eine Arbeit zu  zerstören. Und dann war es wie ein Geschenk.

Die  absurden Blüten, die das dekadente, d.h. den Höhepunkt der Entwicklung überschrittene System „Kapitalismus“ treibt, sind bestenfalls skurril, schlimmstenfalls tödlich. Der Mensch, als wohlorganisierte Stütze des Wirtschaftssystems „Kapitalismus“, das kein Naturgesetz sondern ein konstruiertes Konzept ist, und Interessen bedient.

Weitere wichtige Impuls für meine Arbeit waren die jährlich steigenden Zahlen der vom Aussterben bedrohten Insekten. Die sogenannte „Rote Liste“.

Der Machbarkeitsglaube an die Wissenschaften.

Die fehlende Kultur der Endlichkeit, und die noch nicht vollzogene gesellschaftliche Transformation zur Verantwortlichkeit,  unterstützen noch immer die Aufklärungsideen des Imperialismus, dabei  beten wir weiter zu den  Göttern des neoliberalen Marktes und seinem dogmatischen Wachstum.

Angesichts der Brisanz des Themas war es mir ein großes Anliegen, meine Arbeiten abseits von:
Affekten, Vorwürfen, Selbstgeißelung, Vereinfachung,  Polarisation, Zynismus und Resignation zu kreieren. Sie haben eher etwas verspielt Systematisches….

 

 

 

 

Ulrike Lienbacher, o.T., 2021
Tusche/Papier, 74x54 cm

 

Claudia-Maria Luenig, Leibschema I und II, 2019/2020
elastisches Band gehäkelt, Länge 220 cm

 

Mara Mattuschka, Parasympathica, 1986
Videostill

 

Heliane Wiesauer-Reiterer, Torso, 2021
Tusche/Papier, 110x110 cm

 

Ausstellungsansichten
Alle Fotos © Michael Watzenig

 

Foto Natasza Deddner

 

Ausstellungsansichten
Fotos © Michael Watzenig