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29/3–27/4/2019

Das neue Leben

Vernissage Donnerstag 28/3/2019, 19:00
Zugleich: „Apero - Frühlingserwachen“ der Klagenfurter Galerien und Museen ab 18 Uhr

Aljoscha, Vooria Aria, Romana Egartner, Sandra Man + Moritz Majce, Igor Oleinikov, Lucia Papčová, Marie Schoberleitner, Katharina Steiner, Inge Vavra

Kuratiert von Nora Leitgeb

 

Das neue Leben

Aljoscha, Vooria Aria, Romana Egartner, Sandra Man + Moritz Majce, Igor Oleinikov, Lucia Papčová, Marie Schoberleitner, Katharina Steiner, Inge Vavra

Die Ausstellung Das neue Leben knüpft an die Jugendstil-Architektur des Hauses an, dessen Funktion innerhalb der Ausstellung weitergedacht und entwickelt wird.

Der Jugendstil entstand zum einen als Reaktion auf die zunehmende Industrialisierung aber auch als Gegenbewegung zum vorherrschenden Historismus. Billige Massenanfertigungen der Industrie begannen das Handwerk zunehmend abzulösen. In England, dem Ursprungsland der industriellen Revolution, bildete sich früh eine Gegenbewegung heraus, die „Arts and Crafts“-Bewegung gilt als wichtigster Vorläufer des Jugendstils. Innerhalb des Jugendstils entwickelt sich eine florale, geometrische und abstrahierte Bildsprache, wobei Architektur, Kunst und Kunsthandwerk zu einem einheitlichen Gesamtkunstwerk verschmelzen. Dekorativ geschwungene Linien, flächenhafte, florale Elemente, die Aufgabe von Symmetrien, die Dekoration von Fläche, die Verwendung wertvoller Materialien und feiner Elemente sind typisch für den Jugendstil. Von der Natur abgeleitete Formen – Ranken, Gräser oder Zweige – wurden wichtige Stilmittel.

Rund 200 Jahre nach der Industriellen Revolution bewirkt die Digitale Revolution ebenfalls einen radikalen Wandel in sämtlichen Lebensbereichen: Technologisierung, Social Media, Robotics, Informations- und Kommunikationstechnologie, Künstliche Intelligenz und vieles mehr verändern unsere Arbeits- und Lebenswelt, unser Kommunikations- und Sozialverhalten. In Zeiten des Globalismus wächst auch die Kunst zusammen, längst spricht man von einer Weltkunst, die die lange vorherrschende westlich orientierte Kunst abgelöst hat.

KünstlerInnen aus allen Kontinenten nehmen Teil an weltweiten Großveranstaltungen, so sind die Busan Biennale in Südkorea oder die São Paulo Biennale nicht mehr wegzudenken vom Kunstgeschehen, darüber hinaus wird Kunst in Galerien und Auktionshäusern weltweit gehandelt, Auktionen in Shanghai oder Hongkong ergänzen hergebrachte Kunsthandelsmärkte wie London oder New York.

Und in dieser eben auch sehr schnelllebigen wie marktaffinen Kunstwelt und in dem technologisierten Arbeits- und Lebensumfeld zeigt sich die Tendenz, wieder verstärkt die Sinne anzuregen, die Natur und natürliche Materialien in die Kunst zurück zu bringen, den Körper zu spüren und sensibel auf unseren Umraum zu reagieren. Aber auch die, das Fremde in der Natur wahrzunehmen, sie nachzuahmen oder sich auf sie einzulassen.

Die ausgestellten Arbeiten spiegeln einen aufmerksamen Zugang zum Körper, zur Natur und zu all dem, was uns umgibt, wider. Sie reagieren auf die Jugendstilräume, sie bringen Landschaft und Natur mit dem Körper in Beziehung, thematisieren gesellschafts­politische Prozesse und persönliche Lebenssituationen. Dabei verzichten die Künstler und Künstlerinnen in der eigenen Arbeitsweise nicht auf neue Technologien, Materialien oder Präsentationsmöglichkeiten, im Gegenteil, sie nutzen diese sehr durchdacht und präzise. Die einzelnen Arbeiten – Installationen, Videos, Zeichnungen, In situ Arbeiten, Malereien und Fotografien – werden zueinander in Beziehung gesetzt, formale wie inhaltliche Muster ergänzen sich. Die Kunst reflektiert das uns Umgebende, wird deshalb auch räumlich gedacht und füllt die Jugendstil-Architektur des Künstlerhauses mit neuem Leben.

Nora Leitgeb

 




Kleine Galerie

ALPHA UND OMEGA
Schöpfung und Totentanz

Astrid Pazelt

 

ÜBER DAS WESEN DER KUNST UND DES LEBENS

Bilder von Astrid Pazelt

Man spricht viel über das Geistige in der Kunst, als läge es klar vor Augen. Astrid Pazelt berührt mit ihren Arbeiten das Wesentliche des Lebens und reduziert diese auf das Wesentliche im Künstlerischen. Ursprünglich ging sie vom Bodenmosaik Teurnia (ca. 500 n.Chr.) aus, das mit seinen rätselhaften Tierformen und Symbolen in einer klaren Struktur geordnet ist und immer wieder neue Entdeckungen und Assoziationen ermöglicht. Sie studierte die zugleich einfache und doch sehr komplexe Geometrie, die diesem weltberühmten Mosaik zugrunde liegt und schuf, auf diesem aufbauend, ihre ganz eigene Interpretation von biblischen Themen, die auf die Wesenheit des Menschen verweisen. Mit scheinbar sehr einfachen Bildlösungen weist sie auf das „einfach Sein“ und auf das „Einfachsein“ eindrucksvoll hin. Der Farbauftrag ist vielschichtig, unermüdlich trägt sie in transparenten Schichten immer wieder die Farbe auf, bis der Klang stimmt, bis das Unaussprechliche sichtbar wird.

Astrid Pazelt beschäftigt sich mit Themen, die man eigentlich nicht sehen kann. Sie malt die Kunst, in der sie sieht. Sie weist eine naive Einfühlungsästhetik zurück, es gibt keinen Vergleich von Kunst und Wirklichkeit und schlägt eine ästhetische Richtung vor, die keinen Zusammenhang mit dem Verstand herstellt, da es dem Auge unmöglich ist, die Dialektik oder das intellek­tuelle System zu erfassen, welches den Unterschied zwischen Werken der Kunst und normaler Stofflichkeit garantiert. Indem wir die Strategie einer bestimmten Ausdrucksweise erkennen und ihre Autorität innerhalb der Kunst akzeptieren, verändern wir unsere Art auf die Welt und auf die Kunst zu schauen. Es sind nicht beispielsweise realistische Formen, sondern die Art der Darstellung welche das Bildfeld in ein Gebiet innerer Vibrationen verwandelt und uns dazu bringt, psychische Energie aufzuwenden, um die traditionellen Vorstellungen durch die Ansicht neuer Alternativen zu bereichern. Ihre Bilder sprechen vom Subtilen, vom Sublimen und von jenen Bereichen, die in unserer schnellen und lauten Zeit fast zum Verschwinden gebracht wurden.

Ihre Hinwendung zur menschlichen Figur und die Themen wie Schöpfung, Kreuzigung oder Auferstehung brachte sie fast „logisch“ zum Totentanz und damit auch zu den unaussprechlichen Leiden der Opfer des Holocausts. Mit ihren Arbeiten gedenkt sie der Seelen, macht sie lebendig, bewegt die Erinnerung ihrer Heimatstadt Villach und gibt Namen und Würde zurück.

Astrid Pazelt lässt sich sowohl als Künstlerin als auch als einfühlender Mensch, der im Heute lebt auf Themen ein, die zeitlos aktuell sind. Ihre Arbeiten geben Halt, indem sie uns direkt in ihr Bildgeschehen einlädt, das Wesentliche des Lebens und der Kunst zu erfahren – Alpha und Omega.


Mag. Luise Kloos
„next – Verein für zeitgenössische Kunst“

 

 

 

Aljoscha, Installation Early Earth Was Purple II, 2019
Polymethylacrylat, pigmentiert; Größe variabel

Vooria Aria, Installation There is enough place for all of us, 2018
Schiefer, Teppich, Textil, variable Größe

Romana Egartner, Alliance II, 2018
100 x 90 x 2 cm, Acryl, Grafit, phosphoreszierende Farbe




Sandra Man, Moritz Majce, See, 2017
Stills

Igor Oleinikov, Gedankendämmerung, 2018
Öl-Buntstift auf Papier, 100 x 85 cm

Lucia Papčová, Landscape Study #3, 2016

Marie Schoberleitner, Aus der Serie T01-73, T_35, 2018
temporäre Zeichnung, Kreide auf Tafelfarbe, 175 x 240 cm

Katharina Steiner, Kopf.Über, 2018,
Installation, KUNSTradln in Millstatt (Detailansicht)

Inge Vavra, Bouquet, 1995
Kohle, Aquarell, 250 x 150 cm (Ausschnitt)


Villacher Totentanztuch, 2017, Acryl auf Leinwand, 230 x 130 cm

 

Das Villacher Totentanztuch

Eines der herausragenden Werke, die 2018 aus dem Wettbewerb um den St. Leopold-Friedenspreis hervorgegangen sind, ist das „Villacher Totentanztuch“ der Kärntner Künstlerin Astrid Pazelt. Aus der vorgegebenen Bibelstelle aus dem Buch Kohelet (Kohelet 3,1 – 12) wählte sie als Anregung die Passage „Alles hat seine Stunde … eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz …“, und zusätzlich noch „eine Zeit des Erinnerns“ – denn es handelt sich bei diesem Kunstwerk um ein besonders schönes Beispiel für unter die Haut gehende Erinnerungskultur.

Die Künstlerin verschmilzt hier zwei künstlerische Genres, für die sich gerade in Kärnten besonders beeindruckende Beispiele aus der Vergangenheit erhalten haben, nämlich den Totentanz und das Fastentuch. Das Totentanztuch ist aus ihrem Künstlerbuch „Villacher Totentanz“ hervorgegangen, in dem sie handschriftlich die 336 Namen der Villacher Opfer der Zeit 1938 bis 1945 festgehalten hat als ihren Beitrag zur Erinnerungskultur der Stadt Villach.

Was auf den ersten Blick eher dekorativ wirkt, enthüllt beim genaueren Hinsehen seinen ungeheuren Detailreichtum und seine suggestive Kraft. In mehreren Zeilen ist die gesamte Bildfläche mit ausschließlich aus abstrahierten menschlichen Figuren bestehenden Kampfszenen gefüllt. Bei einigen Gruppen hat man den Eindruck, dass zwei annährend gleich starke Parteien aufeinander losgehen. Bei anderen ist eine Reihe von offenbar überlegenen Menschen dabei, auf bereits auf dem Boden liegende oder hockende einzuprügeln. Allen Gruppen ist gemeinsam, dass sie eine ungeheure Brutalität ausstrahlen. Einige Figuren haben ihre Arme in der Art erhoben, dass sie an Posaunenbläser erinnern und Assoziationen zu den Trompeten des Jüngsten Gerichts wach werden lassen. Doch auch der Gedanken an grotesk übersteigerte Tanzszenen ist nicht von der Hand zu weisen. Durch die schematische und vollkommen einheitliche Gestaltung der Figuren werden Täter zu Opfern, Opfer werden zu Tätern, es ist keine Unterscheidung nach Alter, Geschlecht, Nationalität oder religiösem Bekenntnis möglich. Das heißt, die Künstlerin spricht uns durch diesen Kunstgriff alle unmittelbar an, niemand kann sich dem mörderischen Treiben entziehen. Gleichzeitig lassen die Figuren den Knochenmann der spätmittelalterlichen Totentänze als Anregung erkennen. Seine zentrale Botschaft: Egal welchem Stand du hier auf Erden angehörst, vor dem Tod sind alle gleich.

Das Villacher Totentanztuch wurde inzwischen für das Stiftsmuseum Klosterneuburg angekauft. Es wird heuer in der Fastenzeit in der Wochentagskapelle des Stiftes vor den Altar gehängt um die BesucherInnen der Gottesdienste an das Gedenkjahr 2019 (80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs) zu erinnern. Danach wird es bis Ende November in der Modernen Galerie des Museums ausgestellt, deren Präsentation 2019 unter dem Motto „Himmlische Musik und Tänze des Todes“ steht.

MMag. Wolfgang Christian Huber
Kustos der Kunstsammlungen Stift Klosterneuburg